Der Mentalist sah von seinem Schreibtisch auf. Soeben war die Tür aufgeflogen und sein guter Freund, der Agilist, war in sein Büro gestürmt. Er hatte sich wortlos in den Sessel gegenüber fallen lassen und den Kopf in die Hände gelegt. Geduldig wartete der Mentalist ab, bis sein Freund schließlich aufsah und mit einem Seufzen erklärte: “Wie machst du das nur? Du hast so eine unglaubliche Ruhe. Ich bin ständig mit Krisen am kämpfen, bekomme Anrufe von Klienten und die Kollegen geben sich bei mir die Klinke in die Hand. Ich habe das Gefühl, der Tag hat einfach viel zu wenig Stunden. Ich komme zu gar nichts. Du hingegen siehst immer recht entspannt aus. Entweder hast du nicht viel zu tun, oder du hast ein Geheimnis, dass ich gerne erfahren würde.” Der Mentalist stand auf und ging hinüber zu seinem Freund, legte ihm beruhigend den Arm auf die Schulter und antwortete: “Weder das Eine, noch das Andere, mein Freund. Du weißt, es gibt immer genug zu tun für uns. Und ein Geheimnis habe ich auch nicht. Aber ich habe vor vielen Jahren etwas gelernt, das mir wirklich weiterhilft, meine Zeit, oder besser gesagt, mich selbst, effektiv zu managen.” Der Agilist sah auf. “Also hast du doch ein Geheimnis, mein lieber Agilist”, sagte er mit leicht vorwurfsvollem Unterton. “Oh nein”, beharrte der Mentalist. “Es geht nur um ein wenig Planung und ein grundlegendes Verständnis dafür, was deine Prioritäten sind.” Fragend sah der Agilist ihn an. “Ich glaube, das musst du mir genauer erklären”, forderte er seinen Freund auf.
“Nun, mein Freund”, begann der Mentalist, “wenn du jetzt ganz genau eine Sache verändern könntest, die deinen Arbeitsalltag deutlich erleichtern würde, was würdest du tun?” Der Agilist dachte nach. Es vergingen ein paar Minuten, bis er schließlich antwortete: “Ich glaube, ich würde an der Beziehung zu meinen Kollegen arbeiten. Viele Dinge, die auf mich hereinprasseln begründen sich auf Missverständnissen, mangelndem Vertrauen, oder der Tatsache, dass man sich noch nicht so gut kennt und einfach noch nicht einschätzen kann. Eine Verbesserung hier, würde Wunder wirken.” Der Mentalist nickte. “Und was könntest du dir noch vorstellen?” Wieder folgte eine lange Pause. Schließlich sagte der Agilist: “Ich würde gewisse Aufgaben und Termine besser vorbereiten. Dadurch, dass ich nicht dazu komme, mich entsprechend vorzubereiten, werden die Termine länger und die Diskussionen zäher. Das kostet wiederum Zeit und Vertrauen und so gelange ich in einen merkwürdigen Teufelskreis.” Wieder nickte der Agilist verständnisvoll. Dann ging er zu seinem Schreibtisch und drückte dem Agilisten einen Stapel von kleinen Zetteln sowie einen Stift in die Hand. “Schreib doch mal alles auf, was du diese Woche so getan hast. Und dann schreib auch die Dinge auf, die du gerne getan hättest, zu denen du aber nicht gekommen bist.” Erst sah der Agilist seinen Freund etwas verwundert an. Schließlich nahm er aber den Stift und die Zettel und begann zu schreiben. Nach einer Viertelstunde hatte er einen ganzen Stapel angefertigt und legte zufrieden den Stift zur Seite. “Ich glaube ich habe nun alles. Wie geht es jetzt weiter?” fragte er den Mentalisten. Dieser stand auf und ging zu einer Magnettafel, die an der Wand des Büros hing. Er nahm einen Stift und zeichnete eine Art Fenster an die Tafel:
Nachdem er fertig war, erklärte er seinem Freund: “Wie du siehst, kann man Aufgaben vereinfacht nach zwei Kriterien bewerten: Wichtigkeit und Dringlichkeit. Dadurch ergeben sich vier Kombinationen: Es gibt dringende Aufgaben, die sehr wichtig sind. Es gibt aber auch dringende Aufgaben die gar nicht wichtig sind. Dann gibt es Aufgaben, die wichtig aber nicht dringend sind, sowie nicht wichtige und nicht dringende Aufgaben.” Nun forderte der Mentalist seinen Freund auf, die Zettel in die vier unterschiedlichen Quadranten einzuordnen. Der Agilist stand auf und verbrachte die nächsten Minuten damit, seine Zettel auf die Tafel zu heften. Bei den meisten Zetteln schien es ihm sehr leicht zu fallen, bei anderen zögerte er eine Weile, bevor er sie anbrachte, und manche Zettel schob er mehrfach von einer Kategorie in die andere. Als er schließlich zufrieden war, trat er einen Schritt zurück und sagte: “Das Prinzip verstehe ich. Und wo die Dringlichkeit her kommt ist mir auch ganz klar. Termine sind für alle bekannt und somit besteht wahrscheinlich kein großer Diskussionsbedarf bezüglich der Dringlichkeit. Aber mir ist nicht ganz klar, wie das mit der Wichtigkeit ist. Vielleicht finde ich etwas viel wichtiger als du, oder umgekehrt. Das ist doch sehr subjektiv, oder nicht?” Der Mentalist nickte. “Ganz genau. Und hier kommen jetzt deine persönlichen Prinzipien und Werte ins Spiel. Was du als wichtig erachtest, das bestimmst hauptsächlich du. Natürlich gibt es Aufgaben, die für dein Unternehmen oder für andere Leute sehr wichtig sind. In den allermeisten Fällen sollten sie dann aber auch wichtig für dich sein. Aber in letzter Konsequenz ist das eine Entscheidung, die du für dich treffen musst.”
“Und wie kann mir diese Matrix jetzt dabei helfen, meine Probleme zu lösen?” wollte der Agilist nun wissen. “Nun, schau dir doch mal bitte an, in welche Kategorie du die beiden Punkte einsortiert hast, von denen du vorhin noch gesagt hast, dass sie dir die meisten Probleme im Alltag lösen könnten.” Der Agilist trat an die Tafel und fand die beiden Zettel in Kategorie zwei. “Hier sind sie”, sagte er seinem Freund, “ich finde sie sehr wichtig, aber würde sie nicht als dringend einschätzen.” “Genau, und ich schätze mal, wenn du überlegst, wie viel Zeit du heute oder in den kommenden Tagen dafür aufbringen kannst, dann wird das nicht sehr viel sein.” Der Agilist schwieg, was der Mentalist als Zustimmung wertete. Dann fuhr er fort: “Und was fällt dir außerdem auf?”. Der Agilist betrachtete die Tafel und meinte dann: “Ich würde sagen, die meisten Zettel hängen in den Quadranten eins und drei. Also Punkte, die dringend sind.” Wieder nickte der Mentalist. “Genau, die meisten Dinge, die deine Aufmerksamkeit erfordern befinden sich in diesen Bereichen. Aber vielen Menschen fällt es schwer, zwischen den beiden Bereichen zu unterscheiden. Sie sehen nur die Dringlichkeit und sind somit ständig im Feuerlöschermodus. Ihnen fällt es schwer zu sehen, was von den dringenden Dingen, die auf sie hereinprasseln, auch wirklich wichtig sind.”
Just in diesem Moment klingelte das Telefon des Agilisten. Mit einem entschuldigenden drehte er sich von seinem Freund weg und nahm das Gespräch an. Der Mentalist wartete geduldig, bis das Gespräch vorüber war. “Entschuldige”, sagte der Agilist, “ein Kollege hat mich informieren wollen, wie der Termin beim Kunden gelaufen ist. Er wollte das unbedingt noch mitteilen, bevor er in den Feierabend geht.” Der Mentalist zuckte mit den Schultern und deutete auf die Tafel. “In welchen Quadranten würdest du nun dieses Gespräch einordnen?” fragte er. “Hmm, ich würde sagen dringend, da der Kollege bald nach Hause geht. Aber wahrscheinlich nicht so wichtig, weil wir eh in den nächsten Tagen einen Austausch darüber geplant haben.” “Und wie würdest du unser Gespräch hier gerade einordnen?” Wieder dachte der Agilist nach. “Ich würde sagen wichtig, weil ich langsam beginnen zu verstehen. Allerdings nicht besonders dringend. Wir haben ja eigentlich keine Deadline und könnten das Gespräch auch morgen oder nächste Woche führen.” “Genau, und da liegt das Problem. Du hast wieder eine Aktivität, die nicht wichtig ist aber dringend erscheint einer Aktivität vorgezogen, die wichtig ist, aber nicht dringend.” Da ging dem Agilisten ein Licht auf. “Jetzt verstehe ich langsam”, sagte er. “Wir scheinen so auf Dringlichkeit zu achten, dass wir uns der Wichtigkeit oft gar nicht bewusst werden. Und dabei sollte das eher die vorherrschende Eigenschaft sein. Aber wie kann ich dafür sorgen, dass ich mich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentriere?” “Ganz einfach, du musst dir bewusst werden, was deine Prioritäten sind. Dann ist klar, dass du möglichst direkt auf dringende und deinen Prioritäten entsprechende wichtige Dinge reagierst. Allerdings solltest du in deinem Kalender ganz klar einplanen, wann du dich um die Dinge kümmerst, die wichtig aber nicht dringend sind, damit diese einen festen Platz in deinem Tages- oder Wochenplan haben.” “Du meinst sowas wie Termine mit mir selbst?” “Ja, genau, und du solltest diese so behandeln, wie Termine mit einem ganz wichtigen Kunden. Auch hier tendieren viele Menschen dazu, die Termine nur als potenzielle Zeiträume zu sehen und dann werden sie ganz schnell wieder vom Feuerlöschen eingeholt und verlieren die Wichtigkeit aus den Augen.” Der Agilist nickte. “Die dringenden aber nicht wichtigen Punkte solltest du nur dann erledigen, wenn deine Zeit es wirklich zulässt. Ansonsten ist ein freundliches aber beherztes Nein auch einmal ganz hilfreich. Und zu guter Letzt solltest du dir auch mal Gedanken um den vierten Quadranten machen. Also die Dinge, die nicht wichtig und nicht dringend sind. Das ist ein schwieriger Teil, denn hier sind alle Dinge, die uns Zeit rauben und eigentlich nicht weiterbringen. Darüber haben wir ja bisher gar nicht gesprochen. Dennoch gibt es ja einige Zettel in diesem Bereich.” “Hmm, ich verstehe schon”, sagte der Agilist, “Fernsehen, soziale Medien und sowas…”. “Genau. Aber auch hier muss man genau hinschauen, denn letztendlich musst du entscheiden, ob eine solche Aktivität ein Zeitdieb ist, oder ob sie deine Akkus wieder auflädt und dadurch eher in den Quadranten Zwei einzuordnen ist.” “Das scheint an manchen Stellen gar nicht so leicht zu sein, aber ich glaube, dass es ganz hilfreich ist, sich einmal intensiv damit auseinanderzusetzen”, sagte der Agilist.
In diesem Moment klingelte erneut das Handy des Agilisten. Er zog es aus seiner Tasche und wollte gerade den grünen Hörer betätigen, da hielt er inne, grinste und schob das Handy zurück in seine Hosentasche. “Ich glaube, das kann auch noch zehn Minuten warten, bis ich wieder in meinem Büro bin. Davon wird die Welt nicht untergehen. Jetzt aber möchte ich mit einem guten Freund eine Tasse Tee trinken gehen und mich für das lehrreiche Gespräch bedanken.” Der Mentalist nickte freudig und die beiden Freunde gingen in die Kantine um eine wichtige aber vielleicht nicht ganz so dringende Tasse Tee zu genießen…